Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist ein Grundrecht. Unsere 1. Feministische Werkstatt in Sachsen-Anhalt hat am 22.11.2024 dazu wichtige Akzente gesetzt.
Ein breites Bündnis lokaler und regionaler Organisationen und Initiativen hat in Magdeburg einen Raum für Austausch, gegenseitiger Inspiration und Solidarität geschaffen.

Feministische Werkstatt 2024 in Magdeburg: Schwangerschaftsabbruch geht uns alle an!
Das Bündnis zwischen der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt, der pro familia Sachsen-Anhalt, der Medical Students for Choice Halle & Magdeburg, des Landesfrauenrates Sachsen-Anhalt e.V., der Koordinierungsstelle Genderforschung & Chancengleichheit Sachsen-Anhalt (KGC), des Frauenzentrums Courage und des Netzwerkes Mutterschaft & Wissenschaft organisierte am 22.11.2024 in Magdeburg die 1. Feministische Werkstatt in Sachsen-Anhalt.
Unter dem Titel „Schwangerschaftsabbruch geht uns alle an!“ luden sie Verbündete, Freund*innen, Interessierte, langjährige Feminist*innen und alle, die es werden wollen, zum Austausch, zum Kräfte tanken, zur gegenseitigen Inspiration und zum Essen ein.
Amina Nolte, Referentin für Reproduktive Gerechtigkeit im Gunda-Werner-Institut Berlin setzte den Anfangsimpuls und zeichnete unter dem Titel „Kurz vor dem Durchbruch? Empfehlungen, Entwürfe und Entkriminalisierung zu und von §218“ die Entstehung des §218 sowie den genauso alten Kampf gegen diesen Paragraphen nach. Sie erklärte die aktuellen Entwicklungen vom Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung, über die Kommission „Zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ und deren Empfehlungen, bis hin zu den beiden Gesetzesentwürfen zur Neuregelung von §218, die aktuell zur Debatte stehen. Noch vor den vorgezogenen Bundestagswahlen könnte eine Entscheidung zur Neuregelung im Bundestag möglich sein. Sie schloss mit Anregungen zur Frage, was wir nun konkret machen können, wie zum Beispiel sich Bündnissen anschließen, weiter über das Thema reden und gemeinsam Unwissen abbauen, Petitionen unterschreiben oder Bundestagsabgeordneten schreiben.
Johanna Walsch, Geschäftsführerin von pro familia Sachsen-Anhalt sprach im Anschluss zu „Zentrale Ergebnisse der Studie "ELSA -Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer. Angebote der Beratung und Versorgung" und zur Versorgungslage in Sachsen-Anhalt.“ Sie erklärte, dass obwohl Sachsen-Anhalt im Vergleich zur medizinischen Versorgung in Deutschland eine hohe „Anbieterdichte“ für ungewollt Schwangere hat, es dennoch zu Engpässen in der Versorgung bei Urlaub und Krankheit kommt. Sie beschrieb auch, wie in die kommenden Ruhestände von Ärzt*innen in Sachsen-Anhalt sowohl Herausforderung als auch Chancen sein können, da einerseits Wissen verloren geht, andererseits aber auch mehr Offenheit für Schwangerschaftsabbrüche möglich wird. Johanna Walsch schloss mit den Forderungen der pro familia nach einer Gesetzesreform, da die aktuelle Regelung sexuellen und reproduktiven Rechten widerspricht, und unterstrich die Wichtigkeit der Entscheidungsfreiheit statt einer Kriminalisierung und Stigmatisierung.
Anschließend ordnete Susan Sziborra-Seidlitz, die gesundheitspolitische Sprecherin von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag von Sachsen-Anhalt, die Versorgungslage von ungewollt Schwangeren in Sachsen-Anhalt und den Kampf gegen §218 noch auf landespolitischer Ebene ein.
Und dann war es auch schon Zeit für den Austausch und die Workshops.
„Statt gesetzlicher Pflicht zur Beratung vor einem Schwangerschaftsabbruch: Psychosoziale Beratung als freiwilliges Angebot für alle“ war der Titel, unter dem Silke Beier von pro familia Halle zu einem kollegialen Austausch ein lud.
Den anderen Workshop bespielten die Medical Students for Choice Halle & Magdeburg unter dem Titel „Wie kann ich aktiv werden? Wie kann ich mich mit anderen zusammentun? Welche Möglichkeiten gibt es?“
Beide Gruppen diskutierten angeregt, tauschten ihre Erfahrungen und Kontakte aus, und die Gespräche dauerten bis weit in die Mittagspause hinein.
Nach dem gemeinsamen Mittagessen sammelten sich die über 50 Teilnehmenden zur Abschlussdiskussion mit Silke Beier von pro familia Halle, mit Jacqueline Brösicke vom Frauenzentrum Courage in Magdeburg und mit Amina Nolte, Referentin für Reproduktive Gerechtigkeit vom Gunda-Werner-Institut in Berlin. Neben den Expertinnen beteiligten sich alle Anwesenden und steuerten lebhaft ihre Perspektiven und Gedanken zum Abschluss des Tages bei.
Es wurde deutlich, dass im Raum noch vorsichtiger Optimismus herrschte, dass der Minimalkompromiss, der Antrag der Abgeordneten, doch noch zur Abstimmung gebracht werden wird, noch vor der vorgezogenen Bundestagswahl.
Gleichzeitig wurde auch die Frustration der Zivilgesellschaft unterstrichen, dass politisch bisher nichts passiert ist, trotz aller Versprechungen im Koalitionsvertrag.
Es wurde dazu aufgerufen, die Neuregelung von §218 zu einem Demokratieprojekt zu machen, und mit dem Demokratieargument auch auf CDU-Politiker*innen zuzugehen – denn: Solange §218 besteht, herrscht in Deutschlande keine körperliche, wirtschaftliche, berufliche, soziale, oder gesundheitliche Chancengleichheit.
Auch wurde betont, dass die Neuregelung von §218 eingebettet zu verstehen ist in das ganze Themenfeld der reproduktiven Gerechtigkeit. In Deutschland stehen wir beispielsweise aktuell auch vor einer gescheiterten Kinder-Grundsicherung. Es gilt, die Kämpfe um das Recht keine Kinder zu bekommen, auch mit dem Kämpfen für das Recht Kinder unter guten Bedingungen bekommen und versorgen zu können, zu verbinden, die Intersektionen mit Rassismus, Ableismus und patriarchaler Gewalt auszuloten und gemeinsam zu kämpfen.
Wichtig war auch die Warnung, dass solange Schwangerschaftsabbrüche im StGB geregelt werden, der Paragraph und die Auslegung auch von anderen Playern an der Macht in noch schlechteren Zeiten wieder strenger ausgelegt werden könnte.
Persönlich wurde auch am Ende der Abschlussdiskussion reflektiert, dass sich einzelne der älteren Teilnehmenden fragten, ob sie in den 90gern, nach der Wende nicht genug um reproduktive Selbstbestimmung gekämpft hätten, gab es doch in der DDR eine sehr viel unkompliziertere und selbstbestimmtere Lösung rund um Schwangerschaftsabbrüche. Gleichzeitig machten ihnen die vielen jungen Gesichter heute bei der Feministischen Werkstatt auch Hoffnung. Jüngere Teilnehmende brachten ein, dass sie hier ohne Nervosität öffentlich sprechen konnten und dass das Format empowernde Wirkung auf sie hatte.