
Parwaneh Mirassan und Dr. Raban Daniel Fuhrmann nähern sich am Ende unseres Online-Gesprächs vom 24.11.2022 dem Transformationsbegriff und dem, was wir brauchen, um mutig in das Neue hinein handeln zu können.
Hier die Zusammenfassung einiger ihrer zentralen Punkte:
Transformation ist
• Kein Umsturz von jetzt auf gleich, also keine Revolution.
• Aber auch keine Anpassung des jetzigen Systems, also keine Reform.
Transformation ist ein grundlegender Wandel hin zu einer langfristigen Überwindung des Systems. Transformation passiert in mehreren Schritten, nicht alles muss sich von heute auf morgen verändern. Die wichtige transformatorische Frage ist: Was ist der nächste mögliche Schritt?
Change by Design not by Desaster… zum Beispiel mit der Klimakrise: Da kommen kommen wir nicht drum herum, wir werden Vieles grundlegend verändern müssen! Jetzt nichts zu tun hieße, wir rutschen von der Krise in die Katastrophe. By Design aber kann heißen: Wir fangen jetzt schon damit an, überlegt und mit der Beteiligung von möglichst vielen Menschen Veränderungen auszuprobieren. Beim Designen heißt es ja auch nicht, dass alles sofort klappt und funktioniert. Wir müssen unsere Werkezuge auch erst entwickeln und schärfen. Die Anliegen der Transformation sind nicht falsch, nur weil wir noch nicht die passenden Instrumente dafür haben. Krisen können wunderbare Funken der Transformation sein, wenn wir sie nutzen und Veränderungen vornehmen - da wo es schief läuft lernen, rechtzeitig Neues ausprobieren und nachsteuern.
Transformation und Solidarität
Durch ein Unternehmertum kam oft Neues in die Welt, gibt Dr. Raban Daniel Fuhrmann zu bedenken - durch Menschen, die eigentlich gar nicht besonders solidarisch orientiert sind, sondern sich einfach individuell ausleben wollen. Wie beschreiben wir die Spannungen zwischen dem Bedürfnis nach Solidarität und dem Bedürfnis einfach das eigene Ding zu machen? Das muss sich gar nicht ausschließen, antwortet Parwaneh Mirassan. Innovationen, etwas ausprobieren, einfach das eigene Ding machen – das braucht Zeit und Zeit ist das Privileg nur einiger Menschen. Mit einer veränderten Wirtschaftsform, in der nicht immer die Gewinnmaximierung im Zentrum steht und wir nicht 40 Stunden Lohnarbeit in der Woche machen müssen, haben mehr Menschen mehr Zeit für Innovationen! Dank Technologien und Produktionsverfahren ist es für unsere Wirtschaft gar nicht notwendig, dass alle Menschen 40 Wochenstunden arbeiten. Wir alle können mehr Zeit haben und das Potential für Innovation ist dann sehr viel höher!
Die Veränderungsformel: Wie das Bild des Schmiedens
Kurz gesagt: Wandel passiert immer dann, wenn die Veränderungsenergie höher ist als die Beharrungsenergie.
Generell tendieren wir mehr dazu festzuhalten. Solange ich mich wohl fühle, warum sollte ich mich auf den Weg machen? Das heißt, für den Wandel brauchen wir eine Unzufriedenheit mit dem IST-Zustand und den Willen die Form zu verändern. Transformation bedeutet eine neue Form zu finden.
Das Bild des Schmiedens zeigt, dass der Aggregatzustand verändert werden muss, damit eine neue Form möglich ist. Dieser Aggregatzustand wird beim Schmieden durch Hitze veränderbar. Bezogen auf gesellschaftliche Veränderung können wir vielleicht sagen, dass Greta Thunberg und Fridays for Future für gesellschaftliche emotionale Hitze gesorgt haben, die es möglich machte, die Form der Auseinandersetzung mit der Klimakrise zu verändern.
Und wir brauchen natürlich auch vernünftige Werkzeuge – im Bild einen guten Amboss, eine Esse, einen Hammer. Was klar ist: Die demokratischen Instrumente, die wir jetzt haben, reichen bei weitem nicht aus. Wir brauchen viel mehr Partizipation wie zum Beispiel Bürger*innenräte und wirksame Instrumente der direkten Demokratie sowie die politischen Rahmenbedingungen dafür.
Nicht zuletzt: Wenn wir Transformation im Großen wollen, müssen wir erstmal das Eigene, im Kleinen wandeln. Demokratieentwicklung und Organisationsentwicklung hängen zusammen, so Dr. Raban Daniel Fuhrmann. Wenn ich als Organisation oder auch als Verwaltung nach außen etwas Partizipatives, etwas Transformatives, etwas Neues gestalten will - dann musss ich das zuallererst innen auch leben. Ein nächster wichtiger Schritt der Transformation ist es zu lernen, mit uns selbst gut umzugehen, Kulturen und Strukturen partizipativ zu leben. Wir müssen unsere Arbeitsweise nachhaltig gestalten, im Sinne von angemessenen internen Prozessen, damit Menschen auch weiter machen können.
What now?
Die Funktionalität eines Systems, zum Beispiel unserer Demokratie ist nicht selbstverständlich. Ein System kann anfällig werden, es kann aber auch Resilienz entwickeln. Es gilt beharrlich daran zu arbeiten, zu lernen, auch als Demokratie. Tagtäglich muss überlegt werden, nicht nur ‚Was haben wir getan?‘ sondern ‚Wie können wir es besser machen?‘
Was uns als Gesellschaft fehlt, ist die Vorstellungskraft für etwas Neues, Unbekanntes. Es kann dabei sehr helfen den Horizont zu erweitern: Wie haben Dinge in der Geschichte schon anders funktioniert? Wie funktionieren sie an anderen Orten auf der Welt? Wir brauchen Bilder für die Veränderung und müssen attraktive Visionen unserer Gesellschaft partizipativ entwickeln. Denn: Probleme lösen wir immer nur aus der Zukunft heraus.
Und dann müssen wir erste Schritte tun, uns auf den Weg machen. Dabei ist das Timing entscheidend – die Windows of Opportunity, das bedeutet die Zeitfenster zu nutzen, innerhalb derer bestimmte Möglichkeiten gegeben sind.
Wir müssen uns auf eine neue Ebene der Technologien bewegen: Zukunftstechnologien sind nicht im klassischen Sinne technisch-naturwissenschaftlich. Zukunftstechnologien sind politisch-sozialer Natur. Die Art und Weise, wie wir uns organisieren, wie wir Entscheidungen treffen, wie wir miteinander umgehen, von der familiären bis hin zur Weltebene, da sind wir noch im 19. Jahrhundert.
Wir haben zwischen uns ein großes Potential für politische und soziale Innovationen, da ist viel mehr als wir uns jetzt vorstellen können.