Online-Gespräch: Wie können wir Krisen meistern?

Lesedauer: 7 Minuten
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Wie können wir Krisen meistern? 



Die Zusammenfassung einiger Aspekte des Inputs von Dr. Raban Daniel Fuhrmann, Leiter der Akademie Lernende Demokratie in unserem Online-Gespräch am 24.11.2022.



Dr. Raban Daniel Fuhrmann erklärt zu Anfang, was eigentlich eine Krise ist.

Eine Krise kann schleichend daher kommen - wie zum Beispiel der Klimawandel, der eine lange Vorgeschichte hat – oder aber auch sehr plötzlich auftreten – zum Beispiel die Corona-Pandemie oder der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine.

Eine Krise entsteht auch immer dann, wenn das bestehenden Systems überfordert ist und alte, bewährte Lösungen nicht mehr funktionieren.



Krisen sind extrem komplex, das heißt sie betreffen viele Bereiche gleichzeitig und diese Bereiche haben Einfluss aufeinander. Krisen sind auch dynamisch, das heißt welche Bereiche sie wie betreffen, kann sich ständig verändern.



In den Krisen unserer Zeit kommt hinzu, so Dr. Raban Daniel Fuhrmann, dass nicht nur die externen Herausforderungen steigen, sondern auch unsere Ansprüche zunehmen.



Wir können eine Krise als einen Wendepunkt begreifen (griechisch Krisis), an dem sich entscheidet, ob neue Lösungen gefunden werden, und die Situation sich verbessert, oder ob wir in eine Katastrophe hineinrutschen.



Eine neue Sichtweise kann dabei sein, Krise als einen Aufruf zu verstehen. Einen Aufruf, nicht nur zu gucken, was in mir steckt, sondern was zwischen uns steckt. Denn, so Dr. Raban Daniel Fuhrmann, das wirkliche Krisenbewältigungspotential von uns Menschen entfaltet sich zwischen uns, wenn wir eine Vision teilen, wenn wir gemeinsam für etwas brennen. Er nennt es Co-Kreation, das heißt die Zusammenarbeit aller genau an den Stellen, wo jede*r persönliche Stärken hat.



Dr. Raban Daniel Fuhrmann stellt im Folgenden eine Kurve der Krisen-Gouvernance vor.



Diese kann eine Antwort auf die Frage sein: Was brauchen wir von uns als Gesellschaft & was brauchen wir von Politik und Verwaltung in Krisenzeiten? Wir brauchen eine Krisen-Gouvernance.



Zunächst zur Begriffserklärung: Gouvernance kommt aus dem Lateinischen gubernare. Das bedeutet ein Schiff steuern. Das kann ein spannendes Bild sein, denn eine Krise zu bewältigen ist mit dem Steuern eines Schiffes durch einen Sturm vergleichbar. 



Gouvernance bedeutet, so Dr. Raban Daniel Fuhrmann, ein alternatives Führungshandeln - wenn ich mit Geld und Macht (wie zum Beispiel Gesetze oder Sanktionen) nicht mehr weiterkomme.



In einer Krise brauchen wir alternatives Führungshandeln, das alle Menschen miteinbezieht. Wir brauchen partizipative Beteiligungsformen um neue Lösungen zu finden, um unser ganzes Krisenbewältigungspotential zu aktivieren. Denn Geld und Macht reichen in Krisen nicht aus. Es braucht jeden einzelnen Menschen. Das gilt für uns als Gesamtgesellschaft, aber auch für jede Organisation, bis hin zur Familie.



Dr. Fuhrmann stellt die Krisen-Gouvernance in zehn verschiedenen Modi vor. 

Modi ist die Mehrzahl von Modus und das bedeutet: die Form, die Art und Weise des Vorgehens. Diese zehn Modi der Krisen-Gouvernance können aufeinander folgen; sie können sich aber auch überlappen oder wiederholen. 



1. Hochfahren: Die Krise beginnt im Moment der Ausrufung. Das heißt, wenn die Führung, zum Beispiel die Regierung ihre Überforderung ausspricht und sagt: Wir haben ein Problem! Dieses Aussprechen kann durch die Medien verstärkt werden. Wichtig ist dieser erste Schritt, um die Alarmbereitschaft hochzufahren. Ein bisschen so, wie es in der Schifffahrt heißt, wenn ein Sturm droht: Alle an Deck! Wir müssen uns bereit machen



2. Kommunizieren: Nun ist das Framing das Entscheidende. Framing bedeutet: Wie rahme ich etwas, also mit welchen Worten und Bildern beschreibe ich, was nun passiert und als nächstes passieren soll. Es macht einen großen Unterschied ob es in den Medien und von Politiker*innen heißt „Rette sich wer kann?“ oder „Jetzt zeigen wir mal was wir können!“. 



Wir, alle Menschen und Organisationen oder auch Staaten geraten bei Überforderung in einen Notfall-Modus. Sicherheit erscheint das wichtigste Gebot. Und für einen Staat heißt Sicherheit leider immer noch: Grenzen zu! Ganz unabhängig davon, ob dies eine neue und angemessene Lösung in der Krise ist. 



Um aus diesem Notfall-Modus herauszukommen, oder erst gar nicht hineinzugeraten, brauchen wir eine aktivierende, anpackende und rechtzeitige Kommunikation. Wenn eine Gesellschaft zum Beispiel nicht die wichtigen Informationen bekommt, holen sich die Leute diese eben aus dem Internet. Eine wichtige und richtige Information kann auch sein: „Wir haben noch nicht alle nötigen Informationen und so werden wir diese jetzt zusammentragen.“



3. Koordinieren: Um als Gesellschaft durch eine Krise zu kommen, müssen alle beteiligten Organisationen, Strukturen und Institutionen ihre Arbeit miteinander koordinieren. Diese Koordination überfordert klassische, autoritäre Führung. Stattdessen brauchen wir partizipative und agile Techniken der Führung. 

Agile Führung kann zum Beispiel mehr Selbstorganisation bedeuten, mehr Transparenz, die Entscheidungen werden nicht von oben sondern gemeinsam getroffen, die beteiligten Menschen und ihre Ideen stehen im Vordergrund.



4. Kollaborieren: Diese agile Führung hat zum Ziel, dass ganz unterschiedlicher Akteure zusammenwirken können, das heißt wirkliche zusammenarbeiten können, sich ergänzen, aufeinander aufbauen. Eine Krise kann nur gut durchschritten werden, wenn die ganze Gesellschaft insgesamt in die Bewältigung eingebunden ist.



5. Entscheiden: So viele Menschen wie möglich müssen in der Krise in die Entscheidungen eingebunden werden. Und das geht auch schnell! Es gibt zahlreiche Verfahren, durch die in maximal 6h dezidierte Rückmeldung auf ein Vorhaben gegeben werden kann! Bürger*innenräte, Krisenräte und andere Versammlungs- und Beratungsformen mit Vertreter*innen der Bürger*innenschaft sind weitere Möglichkeiten.



6. Rekalibrieren: Krisen sind auch immer eine normative Überforderung, eine Überforderung unserer Maßstäbe und Werte. Die Frage muss also nicht nur lauten: Was soll ich tun? Sondern auch: Wie bewerte ich das jetzt? In der Krise, nicht danach, nicht irgendwann, sondern immer wieder währedn der Krise müssen wir unseren gesellschaftlichen Wertekompass neu kalibrieren. Wir müssen uns bewußt machen nach welchen normativen Vorgaben wir unsere Entscheidungen treffen. 



7. Aufarbeiten: Wir machen Fehler in der Krise. Das geht gar nicht anders und das muss auch kommuniziert werden. Und deswegen brauchen wir in der Krise auch beständige Aufarbeitung: Wie wars? Wie haben wirs gemacht? Was braucht es deswegen jetzt? Das geht bis zu Versöhnung, das geht bis zu rechtlicher Aufarbeitung.



8. Re-Visionieren: Wir müssen akzeptieren, dass es kein Zurück zum Davor gibt. Und dass wir das Neue im jetzt auch noch gar nicht wirklich kennen. Um dennoch weiter zu gehen, brauch wir neue Visionen. Diese müssen durch Führung verkörpert werden, kommuniziert und zum Beispiel von Kunst und Kultur verankert werden. 



9. Feiern und Gedenken: Wie wäre ein fester Tag im Jahr, an dem wir kollektiv Bilanz ziehen? Ein Reflexionstag für Schulklassen, für Teams und Organisationen, bis hin zur ganzen Gesellschaft. Auch dafür stehen verschiedene Verfahren schon bereit. Schon immer haben wir als Menschheit solche Tage gebraucht, so ist der Buß- und Bettag zum Beispiel entstanden, oder die Passionsfestspiele. Wir kommen erst aus einer Krise raus, wenn wir bewusst dem gedenken was war, wenn wir vergeben und danken können, und wenn wir feiern, was wir geleistet haben.



10. Institutionieren: und verwurzeln Das entscheidende für eine Gesellschaft ist, dass was wir gelernt haben in Strukturen zu verankern. Auf einem Schiff würde es „Wetter fest machen“ heißen. Wir müssen uns darum kümmern, wie um eine Pflanze, damit sie wachsen kann und wir damit die nächste Krise besser überstehen können.

Diese Modi der Krisen-Gouvernance können sich, wie oben beschrieben, überlappen und wiederholen. Einige von ihnen müssen wir beständig wärhedn einer Krise tun. Nur abkürzen und überspringen können wir diese nicht. Nicht, wenn wir aus einer Krise gestärkt heraus gehen wollen. Nur dann beginnt überhaupt Transformation.

Das ganze Gespräch findet Ihr auf unserem Youtube Kanal

Mehr Informationen zu Dr. Raban Daniel Fuhrmann, seiner Arbeit und der Akademie Lernende Demokratie findet Ihr unter https://www.lernende-demokratie.de/de